9. Dezember 2017

Das 2018er Kunstsymposion bedarf eines strengeren Fokus als das heurige. Vielleicht tragen Rückblicke da zu Klärungen bei. Mit der "Verschwörung der Poeten" begann es im Jahr 2002, das zog sich nach 2003 hinein. Ich bin vermutlich einer der letzten HTML-Handwerker im Lande, der für Websites stellenweise immer noch derlei Framesets verwendet. Ich vermute, es sind längst zwei Generationen herangewachsen, die dieses Wort nicht mehr kennen.

Das Blatt #30 markiert dort den 31.12.22002 mit der Notiz: "Der Signore bewegt sich durch sein Lokal, als ob er Rollschuhe an den Füßen hätte. Das ist ein entscheidender Aspekt der Ereignisse ... daran, wie die Dinge hier in Fluß bleiben."

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Daraus erwuchs das auf 20 Jahre angelegte Projekt "The Long Distance Howl", in dem also bisher mit der Vorlauf-Phase, der Verschwörung, 15 Jahre Arbeit stecken, in denen ich zu klären versucht habe, was "Art Under Net Conditions" bedeutet mag, wobei das Wort Net nicht für Internet, sondern für Bedingungen der Vernetzung steht; in merkwürdiger Doppeldeutigkeit, weil das im Englischen auch Nettobedingungen heißen kann.

Zu den frühen Reaktionen anderer Menschen gehört zum Beispiel eine Sendung von Coco Gordon aus der Duane Street in New York (Forto oben). Oder die stets zweisprachig gehaltenen Poesie-Momente von Gerhard Kofler, der leider nicht mehr lebt, Zeilen wie: "i´aggio pensato troppo / e aspettato assaje / ´mnece de cantà" | "ich hab zuviel gedacht / und allzu lang gewartet / anstatt einfach zu singen".

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Zu den Querverbindungen in Netzwerke mit ähnlichen Intentionen gehörte damals zum Beispiel das Projekt "Kontora Mir" des italienischen Künstlers Vito Pace. Das Bedeutungsspiel mit seinem Namen Pace, nämlich Mir, Frieden, muß ich wohl nicht erläutern. Die Zeichnung mit dem Maulwurf hängt heute noch bei mir und die damalige Notiz (KW 7/2003) über meinem Sohn besagt: "zu den großen t-shirts, die immer unter der winterjacke heraushängen, trägt er grundsätzlich die oberen riemen seiner stiefel weit offen ..."

Zu einer der Schlüsselszenen dieses Projekts gehört meine Begegnung mit Osvaldo Puccio Huidobro, dem damaligen Botschafter Chiles. Er war so freundlich, im Sommer 1999 für eine Diskursveranstaltung nach Gleisdorf zu kommen: [link]

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Es heißt, Osvaldo sei in der Moneda gewesen, als Pinochet mit seinen Soldaten kam, um Allende zu holen. Er hat eines der Folterlager (Isla Dawson) überlebt, wovon er mir allerdings nichts weiter erzählte. Ich habe damals eine seiner Aussagen notiert: „Die Revolution kommt immer aus der Provinz.“

Revolution ist freilich etwas, wovon wir in Österreich seit jeher nichts verstehen. (Die Notiz von 2003.) Es hat sich dann das ganze Projekt über die Jahre gut verzweigt und in einzelnen Linien rund um die Welt geführt. Das lief stets entlang lebhafter Debatten und kleiner Sessions in den Straßen. Ich hab gerade das Coverfoto zu "next code: in between (crossing europe)" wiederentdeckt.

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Wir diskutierten in Istanbul das Imponiergehabe von Männern, wie es sich zum Beispiel auch im demonstrativen Pieseln ausdrückt. Einer unverkennbaren Geste des Markierens von Revieren, was wir dann nachgestellt haben. (Links der Finne, rechts ein Iraner, in der Mitte eine Türkin.)

Genug solcher Details. In einigen Wochen wird 2017 enden, damit das 15. Jahr der Arbeit an dieser Geschichte, das 14. Projektjahr, zu dem ich nun noch sechs weitere Jahre vorgesehen habe. Dann werde ich selbst 67 sein, älter als mein Vater je wurde. In der gestrigen Notiz zur kleinen Edition ("Kuratorium für triviale Mythen") schrieb ich:

"Informatiker Hermann Maurer (Austria-Forum) ist der Auffassung, wir lebten derzeit in einer Ära, die in weiten Bereichen undokumentiert bleiben werde. Weshalb? Weil ein großer Teil der Dokumente verloren gehen wird." [Quelle]

Da nun der wesentliche Teil meiner Arbeit sich in realem Geschehen einlöst und im Web dokumentiert ist, nur ein winziger Bruchteil davon auf viel haltbarerem Papier, da uns das PDF-Format nicht erhalten bleiben wird und fraglich ist, ob man in zwanzig Jahren meine HTML-Pages noch mit irgendeinem Gerät lesen kann, muß klar sein, daß meine künstlerische Arbeit keinen medialen Bestand hat.

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Hier übrigens ein Rückblick auf 2005: "area8020_revisited" mit einem verpackten Buch. Meinen Hang zu Büchern hab ich im oben zitierten Beitrag und im Zusammenhang zur Edition erläutert. Das geht alles natürlich viel weiter.

Ohne bleibendes Werk sind da also bloß meine Sprache, mein Leben, mein Umgang mit den Dingen, der Zustand meiner Wohnung oder meiner aktuellen Steuererklärung, mein gesundheitlicher Status, meine stets müden Augen, meine Stunden am Arbeitstisch, meine Stunden unter Menschen, all das in seiner Flüchtigkeit, was der Kunst Augenblicke bietet. Bloß Augenblicke.

Das heißt auch, es gibt weder ein Opus magnum, noch den Anspruch auf Ewigkeit, keine Summa, nichts dergleichen. Es gibt bloß dieses in Eigensinn verstreichende Leben, von dem manches auf die unmittelbare Umgebung einwirkt. Darin ist auch nichts Avantgardistisches, eher Antiquiertes, wenn etwa meine Sprache von der Lektüre ziemlich alter Bücher geprägt ist, Zweig, Feuchtwanger, deutsche Ausgaben von Balsac, Dostojewski, Tolstoi oder Zola.

Möglicherweise bin ich nie in unserer Gegenwart angekommen. Vermutlich waren meine Füße, eventuell auch mein Herz, immer zu schwer, um die Höhe der Zeit zu erklimmen. Daran ist aber nichts, was mir Kummer bereiten würde. Die Konzentration auf überschaubare Zeitfenster, ohne jeden Anspruch auf visionäre Möglichkeiten, hat einen unmißverständlichen Klang, auf den ich mich angewiesen fühle.

Wenn nun mein Leben über die noch nötigen sechs Jahre zum Abschluß von "The Long Distance Howl" hinausreichen möge, wenn also diese 20 Jahre als abgeschlossen gelten dürfen, werde ich vielleicht den Rest meiner Tage nur noch mit Flanieren und Lesen zubringen.

-- [Das 2018er Kunstsymposion] --

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