10. Jänner 2018

Philosoph Robert Pfaller schreibt: "Dass man versucht, Arbeit (insbesondere unangenehme Arbeit) zu delegieren, ist eine gewohnte Regel beim Gebrauch von Maschinen sowie in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und Klassenspaltung."

Das paßt sehr gut in meine Tage der fortlaufenden "Maschinenprosa". Pfaller hat übrigens mit seiner Textsammlung "Ästhetik der Interpassivität" ein ziemlich provokantes Buch vorgelegt. Über das von ihm beschriebene "Delegieren von Konsumtion" werde ich noch ein Weilchen nachzudenken haben.

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Wie sehr ich es an Büchern mag, wenn sie Textilbändchen als Lesezeichen eingebunden haben. Das ist eines der Details, die mich heute als antiquiertes Wesen erkennbar machen. Weil ich kürzlich mehrfach die Lektüre von Sinclair Lewis erwähnt habe, da wäre auch Nelson Algren zu erwähnen oder John Dos Passos, ebenso William Saroyan, Upton Sinclair und auf jeden Fall John Steinbeck, Truman Capote und Norman Mailer... Das fühlt sich plötzlich so verstaubt an. Dabei erinnere ich mich noch genau an die Aufregung aus jenen Stunden des Lesens all dieser Bücher, manche davon mit eingebundenen Textilbändchen.

Ein derartiger Bruch fiel mir auch jüngst auf, als Georg Seesslen im Magazin Spex schrieb: "Lasst Meryl Streep oder Sting Humanismus und Demokratie verteidigen, wir dagegen spalten die Jugend vom Projekt der progressiven Zivilgesellschaft ab. Wenn diese Meta-Mythisierung gelingt, scheint Pop für eine Generation verloren" [Quelle] Der Text endet zwar mit dem Satz "Wir holen uns Pop und alles, was dazu gehört, zurück. Versprochen.", aber wie jung müßte ich sein, daß es sich noch ausginge, diese neuerliche Wendung zu erleben?

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Brigitte Helm als Maria/Maschinenmensch in Fritz Langs "Metropolis" (1927)

Ich habe es lange nicht mitbekommen. Da war kürzlich eine Zeit, als plötzlich deutlich wurde, es sei durchaus innerhalb einer Biographie halbwegs widerspruchslos vereinbar, erst einmal Punk und dann Bankangestellter zu sein, um schließlich eine popkulturelle Existenz zu führen, die alles behauptet und nichts Bestimmtes will.

Dazu fällt mir gerade Aleida Assmann ein, von der ich mir derzeit Anregungen zu Fragen betreffs kollektives Gedächtnis hole, die meint: "Jedes ‚Ich’ ist verknüpft mit einem ‚Wir’, von dem es wichtige Grundlagen seiner eigenen Identität bezieht.“ Das führt an einer Stelle ihrer Ausführungen zur Notiz: „Wir haben einleitend festgestellt, daß das soziale, kollektive und kulturelle Gedächtnis zugleich Wir-Gruppen bilden, deren Identitäten sie stützen. Meine letzte Frage ist: wie exklusiv oder vereinbar sind diese Wir-Gruppen? Wie fest oder durchlässig sind die jeweiligen Grenzen?“

Ich habe den Eindruck, daß uns manche Fragen derzeit weit mehr nützen als das Ausstreuen gefälliger Antworten. Damit meine ich, der Denkanstoß sei dabei das Wesentliche, nicht die Belehrung...

Aleidas Ehemann Jan Assmann war auch mit dieser Gedächtnis-Thematik befaßt. Die beiden unterscheiden zwischen kommunikativem und kulturellen Gedächtnis Jan: „Unter dem Begriff des »kommunikativen Gedächtnisses« fassen wir jene Spielarten des kollektiven Gedächtnisses zusammen, die ausschließlich auf Alltagskommunikation beruhen.“

Das bilde „den Gegenstandsbereich der Oral History“. Dann habe ich derzeit noch nachzudenken, was ein Tesserakt ist.

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Tesserakt: vierdimensionaler Hyperwürfel
(Graphik: Tilman Piesk)

So ein Tesserakt kommt unter anderem in Christopher Nolans Film "Interstellar" (2014) vor. Außerdem agiert darin mit TARS eine der interessantesten Roboter-Kreationen, die ich aus Hollywood kenne. Damit bin ich wieder bei meiner Maschinenprosa. Zugleich bin ich damit bei der Popkultur. Im Augenblick frage ich mich natürlich, ob ich hier derzeit eine Art Resteverwertung betreibe oder eine sinnvolle Aufgabe gefunden hab.

Das 2017er Jahr war davon bestimmt, die Untersuchung der Schnittpunkte zwischen Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst zu vertiefen, auch zu präzisieren. Da paßt es dann wieder. Vom Durchforsten kurioser Magazine aus dem 19. Jahrhundert ("The Mechanic's Magazine") zum Betrachten von Science Fiction-Filmen.

Kein Zufall daß ich oben den Maschinenmenschen aus "Metropolis" gezeigt habe. Es steht für mich außer Frage, daß der Protokolldroide C-3PO aus den "Star Wars" eine Paraphrase dieser Figur ist.

Sind das derzeit die tauglichsten Motive, dank derer ein größeres "Wir" emotional Schnittpunkte findet? Die eingangs erwähnte Aleida Assmann meint: „Die These ist, daß sich das Gedächtnis des einzelnen im Austausch mit solchen Wir-Gruppen bildet, die zum Teil unverbunden nebeneinander stehen, zum Teil ineinander greifen und sich gegenseitig verstärken."

Sie ahnen vielleicht, ich schlage mich derzeit mit einigen brisanten Orientierungsfragen herum. Ist unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Autonomie ein Dilemma oder eine großartige Option? Ich hab darüber augenblicklich keine Klarheit.

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Android C-3PO
(von gordontarpley)

Vielleicht stimmt im vorigen Satz dieses Oder nicht. Vielleicht muß es heißen: Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Autonomie ist ein Dilemma und eine großartige Option. Rufzeichen! Und es könnte ja sein, daß unsere Mythen, für mich bevorzugt: unsere trivialen Mythen, jene unverzichtbaren Erzählungen sind, die den Kontrast abmildern, in den weich gebettet werden kann, was sich gelegentlich widerspricht.

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TARS is one of four former U.S. Marine Corps tactical robots... [Quelle]

Immerhin halte ich für geklärt, daß sich keinerlei Wahrheiten produzieren lassen, indem man einfach Widersprüche eliminiert. (Diese Notiz wurde mir inzwischen zum Mantra.) Menschliche Koexistenz sowie des Menschen Koexistenz mit Maschinen müssen offenbar laufend neu verhandelt werden.

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