16. Jänner 2018

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre war ich mit Freunden weitgehend einig, wir würden gerade ein zweites Biedermeier erleben. So empfanden wir einen spürbaren Rückzug vieler Menschen aus dem öffentlichen politischen Leben. Ich würde auf die Tauglichkeit dieser Metapher nicht schwören. Vielleicht war diese Stimmung damals stark davon geprägt, daß wir ein Stürmen und Drängen empfanden, zu dem allerhand Etabliertes im starken Kontrast stand. Vielleicht waren das auch bloß die Betriebsgeräusche an jenen Stellen, wo verschiedene Generationen miteinander in Berührung kamen.

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Ich empfinde erneut das, woran ich mich erinnere, und muß verblüfft feststellen: Da sind auffallende Betriebsgeräusche an jenen Stellen, wo ich mit meiner eigenen Generationen in Berührung komme. Damit hatte ich nicht gerechnet. In klarer Befangenheit kann ich derzeit nicht feststellen, ob das nun hauptsächlich an mir liegt oder an den Leuten in meiner Umgebung.

Auf das Biedermeier würde ich mich nicht mehr beziehen, denn der Vormärz war so grundlegend anders als unsere Gegenwart. Da liegen für mich keine Vergleiche nahe. Ich sehe allerdings präfaschistische Phänomene, die in Europa immer größere Terrains bespielen. Da fühle ich mich mit meinem Urteil weit sicherer, denn mit Faschisten bin ich aufgewachsen, mehr noch, ich sehe mich als Insider solcher Kräftespiele.

Allerdings ist diese Gemengelage soziokultureller und politischer Merkwürdigkeiten nicht mehr so arrogant und hoch aufragend aufgestellt wie seinerzeit. Auch muß sich die vorherrschende Männerkultur inzwischen auf Arten in Frage stellen lassen, die in den 1930ern undenkbar waren. All dem stehen also ganz andere Wirkungen gegenüber, ganz andere politische wie kulturelle Erfahrungen.

Das skurrile Gezänk um die letzten Wahlen in Österreich, vom Gemeinderat über das Bundespräsidentenamt bis zum Nationalrat, irritiert mich anhaltend; auch bezüglich des Niveaus und der Frage nach intellektueller Selbstachtung in weiten Bereichen meines eigenen Milieus. Aber das läßt sich bloß zur Kenntnis nehmen, es will sich bis heute nicht beruhigen.

Was mir von politischen Formationen nun landauf und landab als innovatives Potential ihrer Arbeit angedient wurde, erscheint mir hauptsächlich als Firlefanz. Wo und von wem hätte ich etwas über Visionen gehört, mit denen Europa sich derzeit als zukunftsfähig erweisen könnte? Was hätte beeindruckender geklungen als die vielen erbärmlichen Chöre, deren Lieder hauptdsächlich von Renationalisierung und den Sorgen über Wanderbewegungen handeln?

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Aber vielleicht ist das zwingend ein Ausdruck unserer Zeit und Zustände. Über welche Partei wäre in letzter Zeit nicht abschätzig räsoniert worden? Und wie lächerlich, wie hohl klingen mir die Phrasen der Wahlsieger! Um den exponiertesten Tänzer zu markieren: ÖVP und NEU zu kombinieren ist in sich ein Witz von der Art, wie man auf Wegen durch einen finsteren Wald laut vor sich hinpfeift, damit man sich nicht so verlassen fühlt und weniger fürchtet.

All diese Flausen beleidigen meine Intelligenz. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Ich finde etwas anderes viel interessanter. Was, wenn diese Erosionen und das auffallende Scheitern weiter Kreise der politischen Funktionärinnen und Funktionäre vor allem der konsequente wie unausweichliche Ausdruck jener Umbrüche wäre, in denen wir uns befinden?

Was, wenn man sagen müßte: Es konnte gar nicht andets kommen? Wir haben zu lange die Annehmlichkeiten genossen, derer man sich bei einem Leben in Österreich erfreuen darf. Wir waren nicht wachsam und viel zu wenig an den Umbrüchen interessiert, die längst da sind, aber keinesfalls aus dem Blauen kamen, schon gar nicht über Nacht.

Wir haben womöglich dieser Zeit genossen wie eine Rafting-Fahrt. Eine Wildwasser-Partie bei wechselhaftem Wetter. Gut gerüstet, gut gesichert, manchmal etwas geängstigt, wenn es durch ruppige Passagen ging, aber doch meist ganz vergnügt.

Was, wenn wir es versäumt haben, sozial, kulturell und politisch auf der Höhe der Zeit zu wandern? Genau das hätte ja angesichts der längerfristigen Erosionen von uns ständige Mühen des Anstieges verlangt, das permanente Suchen nach passablen Wegen in unsere eigene Zukunft.

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Wie, wenn dieses auffallende Scheitern so vieler politischer Gruppierungen (eigentlich: aller!) ganz wesentlich ausdrückt, daß wir derzeit nur alte Organisationen und Strategien zur Verfügung haben, die den neuen Verhältnissen nicht gerecht werden können? Dann müßten wir weder Kraft noch Zeit auf das Gezänk mit den jeweils anderen Gruppen vergeuden, weil die ganze Gesellschaft gefordert wäre, die veralteten Modi hinter sich zu bringen.

Nun also diese beunruhigenden Ereignisse, all dieses Scheitern exponierter Personen, diese Enttäuschungen, in denen man versucht ist, anderen zuzurufen, wie dumm sie gehandelt hätten, weshalb geschieht, was derzeit geschieht.

Nein, ich bin kein Pessimist und ich habe keinerlei Geschmack an Selbstmitleid. Mir geht es derzeit mit all dem ganz anders. Was für eine interessante Ära! Endlich darf sich niemand mehr als klug hervortun, um den Anschein zu erwecken, ihm oder ihr sei völlig klar, was derzeit geschehen müsse.

Endlich nicht mehr bloß Bodennebel, der bis zu den Knien reicht, sondern ganz unübersehbar trübe Verhältnisse, aus denen wir uns gewissermaßen selbst befreien müssen, aus eigenen Kräften herausbewegen. Also auch: Sich seines Verstandes ohne Anleitung anderer bedienen.

Dazu gehört für mich eine Konzentration auf jene Teilbereiche, in denen ich mich halbwegs versiert fühle. Dort denke ich über neue Ansätze und nächste Schritte nach. Die Welt ist viel zu komplex, als daß man sich zu allem äußern könnte. Ich kann es auf jeden Fall nicht.

Aber was die Wissens- und Kulturarbeit angeht, auch was die Kunst betrifft, und wie das in einem Gemeinwesen zur Wirkung kommen mag, bin ich schon bei der Arbeit. Das sind Zusammenhänge, die unweigerlich auf das 2018er Kunstsymposion verweisen und in diesem Vorhaben greifbar werden sollen.

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