9. Februar 2018

Ich hab gestern nebenan, im Projekt-Logbuch, zur Arbeit mit immateriellen Gütern notiert: "Wer da auf Folgerichtigkeit verzichtet, dann auch auf Konsequenz, löst die ganze Arbeit in Dunst auf." [Quelle] Das ist ein gelegentlich auftauchendes Problem im Kulturbetrieb. Ich hab in den letzten Jahren einige Beispiele dafür in der regionalen Kulturarbeit gesehen. Folgerichtigkeit und Konsequenz sind wesentliche Zutaten solcher Arbeit, was den Irrtum oder Irrweg keineswegs abwertet, ausschließt. Wer ihn aber unter den Teppich kehrt, amputiert das Werk.

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Binder & Beckett 2010 (Foto: dramagraz)

Ich muß annehmen, daß das vielfach nicht verstanden wird, schon gar in einer Zeit, die so auf "gute Erscheinung" und "prächtige Ergebnisse" versessen ist: "Das ist meine einzig brauchbare Erklärung, warum so oft interessante Prozesse in eine hohle Geste übergehen, um schließlich eine Simulation zu ergeben, etwas Behauptetes, das keiner Überprüfung standhält." [Quelle]

Künstler Selman Trtovac antwortete mir darauf mit einem Zitat von Jacques Derrida: "Da die Spur kein Anwesen ist, sondern das Simulacrum eines Anwesens, das sich auflöst, verschiebt, verweist, eigentlich nicht stattfindet, gehört das Erlöschen zu ihrer Struktur."

Der Weg in die Kunst läßt im Grund keine Wahl. Da ist die Möglichkeit, sich der Folgerichtigkeit zu verschreiben oder das Simulakrum um ein weiteres Dekorationsgeschäft auszubauen. Diese Dinge sind nicht verhandelbar. Ich hab kürzlich im Text "Ein aufbrechendes Zeitfenster" (Sollst sanft in meinen Armen schlafen) unter anderem an den am 28. Jänner 2017 verstorbenen Ernst M. Binder erinnert, der einen Satz über Elfriede Jelinek schrieb, welcher in seinem letzten Buch ("Das stumme H") steht:

"Keiner hat was von ihr gelesen und alle wissen Bescheid."

Das ist aufschlußreich, wenn man über Bedingungen der Gegewartskunst nachdenkt. An anderer Stelle zitiert Binder eine Email, die er 2008 von Jelinek erhalten hat: "Jedenfalls freu ich mich für dich, kommen kann ich leider nicht, weil ich nicht mehr unter Menschen gehen kann, das ist vorbei."

Ein sehr anschaulicher Hinweis, was es mit der Konsequenz so auf sich hat. Ich kenne genug Menschen, die derlei unendlich schrullig finden, aber immer wieder einen Arzt brauchen, um all das abzumildern, was ihnen ihr Leben aufbürdet, wo sie sich vergleichbare Konsequenz nicht zutrauen.

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Krusche & Trtovac 2017

Zu den beliebten Klischees bezüglich Kunstschaffender gehören verhaltensoriginelle Details im Auftritt, im Verhalten, in der Staffage. Das sind Details, die ich dann gelegentlich als Versatzstücke bei der Hobby-Liga wiederfinde. Ich bin in dieser Sache etwas dünkelhaft. Mir erscheinen diese Spießer und Mittelschicht-Trutschen sehr provokant, wo sie sich mit solchen Versatzstücken dekorieren, als ginge es auf einen Faschingsrummel, um so den Anschein von Künstlerschaft zu erwecken, einen derartigen Status zu simulieren, ohne das in ihrem Werk einzulösen.

Das ist im Grunde so lächerlich wie der Typ, dessen Autoschlüssel zum VW Golf an einem Schlüsselring mit Porsche-Logo hängt. Oder ist es einfach Maskerade, wie wir Menschen sie alle gelegentlich lieben? Rollenspiel? Letztlich entscheidet die Intention. Da hab ich in diesem Metier noch nicht erlebt, daß sie sich gründlich verbergen ließe. Aber zurück zu konsequenten Wegen in die Kunst.

Was immer einen zu jener Radikalität bewegt, die Menschen zur genannten Konsequenz befähigt, ohne die eine künstlerische Praxis nicht sehr weit führt, in manchen Fällen sind das natürlich eher schmerzliche Erfahrungen. Aber es wäre töricht, daraus abzuleiten, die "wahre Kunst" käme bloß aus Schmerz und Entbehrung. Das sind dumme Spießer-Klischees.

In Wahrheit wissen wir eher nichts darüber, was einen zu dieser magischen Praxis des Kunstschaffens geeignet macht. Es ist bloß klar, daß wir uns darin auf einige Jahrtausende des symbolischen Denkens stützen, auf Eigenheiten der Conditio humana, die sich ab der Neolithischen Revolution unübersehbar verbreitet haben.

Ernstl Binder hat an einer Stelle des Buches die Quelle seiner Radikalität sehr berührend skizziert: "Es ist mir niemand im Weg gestanden, und niemand zur Seite. In dieser Abgeschiedenheit war mir selbst meine Anwesenheit unangenehm. Ich habe mich erweint. Ich habe mich gekrümmt und die Arme ausgebreitet. Das Leben hat sich an meine Brust gelehnt. Und auch geweint."

Ich verzichte hier auf eine Erläuterung dieser Sätze. Für Insider solcher Zusammenhänge ist das leicht dechiffrierbar, ansonsten aber taugt es auch als Poesie. Das sollte genügen.

Im Projekt-Logbuch hatte ich übrigens Mark Blaschitz (SPLITTERWERK) zu zitieren, der mir bezüglich zweier Begriffe -- Denkräume, Möglichkeitsräume -- schrieb: "in der architektur(sprache) sind das leider seit jahrzehnten vollkommen verbrannte begriffe...". Na prima! Dabei hatte ich mich mit diesen Termini grade erst neu eingerichtet. Gut. Wovon zu reden ist: Ein konkreter Lebensraum mit einem konkreten geistigen Leben. Lagen. Schichten. Layers. Sedimente?

-- [Das 2018er Kunstsymposion] --

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