27. September 2018

Diese Tage der ungezählten Handgriffe. Vieles davon könnte weiter automatisiert werden, auf der Ebene elektronischer Dokumente verbleiben. Dateien, die beliebig dupliziert und bewegt werden. Damit entfiele diese eigentümliche Geste, etwa an einem Tisch zu sitzen und eine Serie von Dingen abzuarbeiten, die über stets gleiche Bewegungen zu handhaben sind.

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Nein, ich Rede hier nicht der Fließbandarbeit das Wort. Ich meine eher eine Art des Begreifens solcher Vorhaben, dieser Kulturprojekte, die im Web verankert sind, aber abschnittsweise in die reale soziale Begegnung überführt werden. Die körperliche Einbindung in manche dieser Abläufe, etwa das Bündeln einer Presseaussendung aus mehreren Blättern, der Email-Sendung folgend, die schon rausgegangen ist. Stunden des Durchdenkens aller Details, während man diese Handgriffe tut. Da kommt eine Langsamkeit in die Arbeit, die sich als etwas Frivoles anfühlt. Erleben wir nicht eben Jahre einer permanenten Beschleunigung? Ist da Verlangsamung zulässig?

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Der Modus dieser Entwicklung ist simpel. Wenn Mittel knapper werden, steigt der Aufwand. Mehr Arbeit für weniger Ertrag. Das ist banal. In der Wissens- und Kulturarbeit bedeutet es freilich essenzielle Veränderungen. Ich hab nun von Wirschaftstreibenden viele Jahre die permanente Klage über eine zunehmende Überregulierung gehört. Das heißt, der Verwaltungsaufwand steigt stets, wodurch aber der Ertrag nicht zunimmt. (Mehr Hackn fürs gleiche Geld.)

Eine Volkskundlerin wies mich darauf hin, daß wir heute in Österreich (mit seiner Bevölkerung von rund 8,8 Millionen) etwa gleich viele Beamte haben wie zuletzt das kaiserliche Österreich mit über 40 Millionen. Eine Konzentration von Arbeitskraft in der Verwaltung, wo nun die Vierte Industrielle Revolution innerhalb weniger Jahre mehr an Automatisieurng erreichen wird, als in vielen anderen Bereichen.

Was muß ich daraus schließen? Mehr Tempo in der Abwicklung von Wissens- und Kulturarbeit bei optimaler Automatisierung? Also computerisierte Adreßverwaltung etc., statt per Hand beschriftete Kuverts? Modernisierung?

Wenn ich in den letzten Jahren bei der Arbeit inhaltliche Erschwernisse empfunden hab, dann vor allem die mangelnde Akzeptanz für prozeßhaftes Arbeiten, das wie ein Eisberg erscheint. Nur ein Teil davon wird an der Oberfläche sichtbar, ist medial darstellbar. Das Meiste davon ereignet sich auf unspektakuläre Art quasi hinter den Kulissen.

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Ist das einer der Gründe für den auffallenden Boom von Selbstdarstellern, von Selbstoptimiererinnen, die uns glänzenden Performances liefern, aber den Lauf der Dinge eher nicht voranbringen? Die fundamentalen Umbrüche innerhalb dieser Gesellschaft sind evident. Eine der populärsten Reaktionen darauf liegt in einer Art Konvertierung von Problemlagen. Was sich als ein Konvolut gesellschaftlicher Probleme darstellen ließe, wird zu einer Serie des individuellen Versagens umgedeutet. Eine Art Individualisierung von Inkompetenz.

Dabei kann dann etwa "Selbsterkenntnis" zu einem Geschäftszweig werden. Wie würde man sonst eigentlich verfahren? Ich erfahre viel über mich aus den Reaktionen anderer Menschen. Ich kann für Dialog mit mir selbst sorgen. All das klappt aber nur, wenn es keine versteckten Intentionen geben soll, wenn ich in der Reflexion meiner eigenen Verfaßtheit ebenso offen sein darf, wie in meinem Blick auf die anderen Menschen.

Mir gefiele dafür der Begriff Wahrhaftigkeit. Eine nach innen und nach außen gerichtete Wahrhaftigkeit. Die interessiert mich nicht als moralisches Konzept, sondern als eine Bedingung von Erkenntnis. Falls ich verdeckte Intentionen akzeptiere und Strategien der Täuschung in Kauf nehme, egal, ob das mich oder andere betrifft, bin ich nicht mehr Herr meiner Wahrnehmung.

Bin ich aber nicht mehr Herr meiner Wahrnehmung, sind Wissensgewinn und Kunstpraxis aussichtslos. Damit würde ich die Grundlagen meiner Profession zerstören. Man mag sich in anderen Metiers bei solchen Fragen mit Scheinkonstruktionen behelfen können. In meinem Metier würde sich dadurch die Trennlinie zwischen Künstler und Dekorateur auftun.

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Die Vorstellung des hohlen Klangs von Simulationen ist freilich auch bloß Ausdruck einer Dünkelhaftigkeit. Was also wäre in diesem Fall Wahrhaftigkeit? Entstünde sie im Überprüfen der Balance zwischen Denken, Reden und Tun? Es spricht in meiner Existenz nichts gegen Posen. Die sind ja immer ein Spiel der Möglichkeiten, ein Erproben von Haltungen. Darin regiert freilich die Frage nach der intellektuellen Selbstachtung.

Damit zurück zu Wissens- und Kulturarbeit, in meinem Fall ganz explizit zu jener in der Provinz. Diese Betonung erscheint mir wichtig, da wir es hier mit einer irritierenden Gegenbewegung zu tun haben. Einerseits ist das alte "Denkmodell Zentrum-Provinz", wie wir es in Europa aus dem 19. Jahrhundert erhalten haben, längst obsolet. Die Umbrüche, etwa via individueller Mobilität und Kommunikationstechnologie, machen solche Bilder hinfällig und werden sie noch tiefer in die Archive der Geschichtsschreibung verschieben.

Andrerseits polarisieren die Einbrüche an Budgets und Strukturen erneut zwischen den Zentren und deren Peripherie, was offenbar zu einem Revival der alten Bilder und Ansichten führt. Das geschieht augenscheinlich nicht nur in materiellen Zusammenhängen, sondern auch ideologisch.

Ich empfinde das als tiefe Irritation, die sich vordergründig so äußert, daß mir scheint, vor meinen Augen würde eine vertraute Welt untergehen, in der es eine Reihe von Übereinkünften, von Konventionen und Verfahrensweisen, gab, die nun außer Kraft gesetzt wurden.

Das bedeutet, ich kann meine vertrauten Paradigmen in der Wissens- und Kulturarbeit nicht mehr wie gewohnt zur Anwendung bringen. Das heißt auch, ich kann jetzt mein Brot nicht mehr auf vertraute Art verdienen. Das scheint alles nach neuen Modi zu verlangen.

In diesem Zusammenhang beschäftigen mich Zusammenhänge zwischen Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst. In diesem Zusammenhang bekommt das Vorhaben "Ich bin eine Geschichte" sein Gewicht, denn es fragt nach authentischen Stimmen und danach, was sie zu sagen haben. In diesem Zusammenhang suche ich mit dem "Konsortium 18" nach Positionen der Kunst auf der Höhe der Zeit.

Damit ist auch betont, was im heurigen Kunstsymposion ein Stück Hintergrundfolie ergibt, denn die Erörterungen in der Leiste "Spurwechsel" müssen im Erkunden des Status quo Orientierungspunkte abwerfen...

-- [Das 2018er Kunstsymposion] --

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