4. Oktober 2018

1918. Der Große Krieg hieß damals selbstverständlich noch nicht Erster Weltkrieg. Schließlich hatte The Great War die Menschen Europas in einem Ausmaß traumatisiert, daß wir vermutlich heute noch bei unseren Leuten mentalitätsgeschichtliche Spuren davon finden können. Außerdem war die Zwischenkriegszeit mit all ihren Belastungen für die Menschen von so kurzer Dauer, daß in der Geschichtsschreibung vielfach vom Zweiten Dreißigjährigen Krieg die Rede ist.

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Belfast Cathedral mit dem Dorn, einem Mahnmal zur
Erinnerung an die Toten des Great War

Das ist hilfreich, wenn man sich orientieren möchte, auf welchen Wegen es europäische Mächte letztlich erreicht haben, alte, gut eingeführte Feindbilder abzutragen und jenen Frieden herbeizuführen, den wir seit mehr als einem halben Jahrhundert genießen dürfen. Dieses Wir hat freilich seine Lücken. Damit meine ich zum Beispiel den Untergang Jugoslawiens. Kosovo ist offenbar in der Schwebe. Mazedonien scheint sich zu beruhigen. Um die Staaten im Staat von Bosnien und Herzegovina scheint es merkwürdig still zu sein. (Über die Situation von Separatisten in Spanien hört man derzeit wenig. Was wird sich in Schottland entwickeln?)

Kann sich jemand an das Lied "The Luck of the Irish" von John Lennon und Yoko Ono erinnern? Oder "Sunday Bloody Sunday"? Der Bürgerkrieg in jenem Nordirland-Konflikt hatte eine Radikalität und eine Unerbittlichkeit im Ausleben von Feindschaften, die noch heute erschüttert, wenn man näher hinsieht.

Für mich entstand im Nachdenken über Europa und seine Feindbilder eine eigenartige Nord-Südspange im Durchlaufen eines Raumes, der uns geprägt hat: Belfast-Sarajevo. Über einen Besuch in Belfast hab ich seinerzeit im Projekt-Logbuch notiert: "Walking through the streets made even a tourist like me feeling the presence of something, the people suffered there. And that was something like walking through Sarajevo." [link]

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Bürgermeister Robert Schmierdorfer (links)
und Künstler Nikolaus Pessler in Albersdorf

Wir können uns anscheinend das Aufbauen von Feindbildern nicht abgewöhnen, auch wenn die fulminante Friedenserfahrung, die nun schon mein ganzes Leben lang andauert, eigentlich ein brüllendes Votum dafür ist, nicht einmal einen Krieg der Worte zuzulassen. Im 20. Jahrhundert hat doch noch jedes Massaker auf europäischem Boden mit einem Krieg der Worte begonnen. Gäbe es ein Wappen Europas, der Wappenspruch müßte lauten: Hüte Deine Zunge!

Inzwischen begegnen uns zuhause längst auch Menschen aus ganz anderen Weltgegenden, in deren Augen wir die Spuren von Krieg entdecken können. Wie könnten wir Kinder des Friedens uns nicht verpflichtet fühlen, was wir haben und wozu wir fähig sind dafür einzusetzen, daß die Waffen schweigen und daß die Verwundeten Linderung finden? Wie ist es möglich, daß bei uns Rädelsführer aus Politik und Medien nun schon über Jahre konsequent an Feindbildern arbeiten? Ich bin ohne jedes freundliche Gefühl für all jene politischen Glücksritter sowie deren Entourage, die diesen Krieg der Worte wieder entfacht haben, um fadenscheinige Gründe für ihr Ringen um eigene Vorteile zu verbreiten.

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Bürgermeister Werner Höfler (rechts)
und Künstler Nikolaus Pessler in Hofstätten

Unsere ausführliche Debatte bei der ersten Station in Albersdorf hat übrigens ein wesentlich freundlicheres Bild gezeichnet, als es uns via Medien daherkommt. Bemerkenswert, daß uns der Realismus dreier Bürgermeister ganz andere Problemlagen ins Blickfeld rückt, vor allem aber solche, unter denen ausreichend hausgemachte Probleme sichtbar werden, denen wir gewachsen sein sollten.

Wo uns nun Nikolaus Pesslers Arbeit einen Blick auf 100 Jahre Republik Österreich nahelegt, würde es mir gefallen, daß allfällige Jammertöne einfach verstummen könnten, auf daß wir uns darüber verständigen, wozu wir uns selbst in der Lage sehen, wenn wir aus dem Geschenk des langen Friedens und Wohlstandes etwas machen möchten, das als angemessen und zeitgemäß gelten dürfte.

-- [Das 2018er Kunstsymposion] --

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