7. Dezember 2018

Philipp Odelga notierte bezüglich eines Vorhabens von Max Sikora: „Das Objekt als Zeuge seiner Umstände“. So ein Satz kann bei mir schon genügen, um mich festzunageln, meine Aufmerksamkeit für eine Weile zu binden. Die Dinge, mit denen wir uns ausstatten und die Werkzeuge, wie sie auf uns verändernd zurückwirken, wenn wir sie gebrauchen...

Aber das greift vor. Allerdings bin ich im Erzählen nicht an den Zeitpfeil gebunden. Amüsantes Detail: Ich hab in der nahen Vergangenheit oft gehört, ich solle mich um mehr Verständlichkeit bemühen. Wieso eigentlich? Man hätte mir ja auch zuflüstern können: Ich werde mich anstrengen. Doch jetzt ist ohnehin etwas anderes zu erzählen.

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In meinen ruhigen Stunden zeichnet sich eine Tendenz zum Obersteirischen ab. So wie jüngst in Kapfenberg, vorbei an diesen Stätten einer einst strahlenden Industrie, an jenen Orten, wo es aus dem ewigen Mangel der agrarischen Welt herausging, auch wenn man sich nach wie vor den Rücken krummschinden mußte. Auf diesen ausgetretenen Pfaden, an diesen Orten des sich Herauswindens aus etlichen alten Bindungen, haben die Kinder und Enkel der Hackler begonnen, ihren Ansprüchen auf ein geistiges Leben auch entsprechende Strukturen und Konzepte zu schaffen.

Es ist ja nicht so, daß es unter den Hacklern je an solchen Wünschen gefehlt hätte. Diese Talente werden von der Natur ganz beliebig ausgestreut. Es kommt dann auf Lebensumstände an, vor allem auch, ob einem der Alltag genug Kraft läßt, um solchen Seiten in sich nachzugeben und nachzugehen. (In der historischen Sozialdemokratie hat man das früh gewußt.)

Ich habe eben gemeinsam mit dem Fotografen Franz Sattler so einen Hackler ins Blickfeld gerückt. Der Blechzieher Albin Schrey, damals in der Elin Weiz tätig, ist ein markanter Beleg dafür, daß es nicht bloß um eine Art "kreatives Hobby" geht, um einen aufmunternden Zeitvertreib, ungefähr so belebend wie das Legen von Patiencen oder das Kreuzworträtsellösen. Es geht um ein geistiges Leben, das sich über gepflegten Zeitvertreib hinausbewegt. Albin Schrey ist ja bloß eines von unzähligen Beispielen dafür, daß etwa die Befassung mit Kunst und mit komplexen Denkvorgängen keine Domäne von "Eliten" ist.

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Es blieb ein Tondokument erhalten, das Josef Beuys in einem Streitgespräch erlebbar macht. Da sagt er an einer Stelle: "Wenn ich es denken kann, können sie es auch denken." Weil er so gerne mißverstanden wird, wo ihn jemand zitiert: "Jede ist ein Künstler", daß es nur so beusyelt, sei betont: damit war noch nie die Acryl-Pritschelei Selbstvergessener und dergleichen gemeint. Beuys hat klargestellt, daß Kunstpraxis ein Ringen um das geistige Leben ist, nicht ein betuliches Aufs-Wasser-Starren wie Narziss,

Wir waren über Jahrhunderte darin beeinflußt, um genau das allgemein nicht für möglich zu halten, dieses Vordringen in komplexeres Denkvermögen. Nun kann jemand natürlich den Rest seins Lebens über jene räsonieren, die daraus Vorteile bezogen haben und dafür ein hohes Potential an Gewalbereitschaft hinter diese Botschaft gestellt hatten: Laß du das Denken sein, wir kümmern uns darum! Es hat bei uns Tradition, Denkende zu bedrohen, einzuschüchtern.

Ich werde in den nächsten Tagen jenen atemberaubenden Bannspruch abtippen, mit dem Baruch de Spinoza Mitte des 17. Jahrhunderts aus seiner Gemeinde ausgeschlossen wurde, weil sein Denken jene behelligte, die Definitionshoheit beanspruchten. Eine lesenswerte Mitteilung. In alten Zeiten konnte der Ausschluß aus einer Gemeinde ein lebensbedrohender Schritt sein. Es konnte jemand aber auch wie Lucilio Vanini erwischen, den man der Ketzerei zu überführen meinte. Ihm wurde auf einem öffentlichen Platz die Zunge herausgerissen, um ihn anschließend zu erdrosseln, danach zu verbrennen.

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Wir haben die Freiheit, uns etwas weniger über derlei historische Motive zu empören und stattdessen dem eigenen Denken auf die Sprünge zu helfen. Ich finde es natürlich sehr interessant, diese geschichtlichen Spuren im Blickfeld zu halten, aber das hat wesentlich mit der Frage zu tun, was uns über Generationen hinweg mentalitätsgeschichtlich geprägt hat, mit welchen Details unsere Gegenwart gebraut wurde.

Auf der Eisenbahnfahrt nach Judenburg also die weitere Lektüre von Phillipp Bloms feiner Arbeit über die Kleine Eiszeit Europas, von der unsere Leute so heftig bewegt wurden. Wie hier schon erwähnt, erst hatte die große Pestkrise (zwischen 1346 und 1353) Europas alte Ordnungen hinweggefegt. Später hat der Dreißigjährige Krieg (1618 bis 1648) für ähnlich radikale Umbrüche gesorgt. Der lag schon in dieser große Kette von Klimakatastrophen, von denen eine sehr prominente der Ausbruch des javanischen Vulkans Tambora (1815) wurde. Die folgende Hungerepidemie und das große Pferdesterben verschobes die Verhältnisse in Europa erneut fundamental.

Es war die Zeit, als James Watt mit seiner Optimierung der Dampfmaschine die Industrielle Revolution einleitete und Erzherzog Johann von Österreich ihn besuchte, um sich über Innovationen in England zu informieren, um Neuerungen bis in die Steiermark zu bringen. Von 1914 bis 1946 ist gelegentlich von einem Zweiten Dreißigjährigen Krieg die Rede, Da mußten unsere Leute erst von Untertanen zu Bürgern werden, um sich schließlich aus dem Dienst an der Tyrannei herauszuarbeiten. Wie sehr das noch keinesfalls erledigt ist, zeigt uns die Gegenwart ganz unübersehbar.

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Gabriele Kolar und Max Sikora

Was hat das nun mit dem Maler Max Sikora zu tun? Kann ich noch nicht wissen! Das waren jetzt etliche sehr anregende Stunden in Judenburg. Das waren lebhafte Gespräche. Mit Sikora und etwa Gemeinderätin Elke Florian, mit der Vizebügermeisterin und Landtagsabgeordneten Gabriele Kolar, mit Unternehmer Heinz Mitteregger vom Stadtmarketing Judenburg.

So viel ist auf jeden Fall schon klar. Falls es in der Provinz wo provinziell zugeht, liegt das heute nicht mehr an der Distanz zum Landeszentrum. Dieses alte Denkmodell Zentrum-Provinz samt seinem einseitigen Gefälle ist längst mit neuen Optionen überschrieben worden, die von manchen Menschen sehr ernst genommen werden.

-- [Die Judenburg-Session] --

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