25. März 2019

Was mag mich dazu bringen, individuelle und kollektive Niedertracht, wie beschrieben, in einem engen Zusammenhang zu sehen? Noch dazu, wo so ein Konzept offenkundig weltanschaulich markant getrennte Lager verbindet. (Ein Effekt der großen Erzählungen, die sich durchzusetzen scheinen.)

Wir kennen nun seit Jahren jene Varianten der Verachtung, mit denen die Gefolgschaft rechtspopulistischer Formationen ihren Opponenten begegnet. Die Social Media zeigen freilich, daß man sich dabei nichts schuldig bleibt. Das Beschimpfen und Herabwürdigen wird auch in den Lagern kritisch-liberaler Geister links davon beherrscht und angewandt.

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The Track: Axiom (2013)

Ich gehe bis heute davon aus, daß die Demokratie auf Strategien angewiesen ist, den Feinden der Demokratie wirksam zu begegnen, ohne ihre Mittel zu übernehmen. Das hieße zwangsläufig, sich nicht bloß auf den Schlachtfeldern von Wortgefechten zu bewegen, sondern ganz individuell ein kulturelles und politisches Engagement zu entwickeln, zu zeigen.

So zumindest die Denktradition, in der ich mich sehe und die in heute etwas verstaubt wirkenden Konzepten angelegt war. Eigenständige Regionalentwicklung. Gemeinwesenorientierte Arbeit. Kollektive Wissens- und Kulturarbeit. Verstaubt wirkend deshalb, weil das Konzepte sind, die auf Zeit und Entwicklung angelegt wurden und nicht jenes rasante Tempo haben können, in dem derzeit so manches verhandelt wird, was unter Strich bedeutet: verfügt wird.

Die letzten dreißig Jahre ergeben jenes Zeitfenster, in dem sich in meiner Region autochthon entstandene Kulturinitiativen mit kulturpolitischen Agenda weitgehend erledigt haben. Das Finale hat ein markantes Datum: "Einladung zum 1. Arbeitstreffen 'Kultur am Land' am Donnerstag 21.9.2017 in Gleisdorf!"

Dabei ging eine Funktionärin der IG Kultur Steiermark mit Bürgermeister und Marketing-Chef der Gemeinde Hand in Hand, um den regionalen Kulturschaffenden deren kulturpolitische Praxis als eine Art Best Practice vorzuführen. Eine groteske Umkehrung plausibler Verhältnisse, die ich mir nur mit einer völligen Aufgabe intellektueller Selbstachtung erklären kann.

Ein bis dahin kulturpolitisch einmaliger Vorgang: "Beim 1.Arbeitstreffen 'Kultur am Land' sind wir in Gleisdorf zu Gast, das ein sehr reges Kulturleben hat. Bürgermeister Christoph Stark und sein Team wird die Kulturarbeit der Gemeinde vorstellen." [Quelle] Siehe dazu den Eintrag vom 22. September 2017!

Das läßt sich unter anderem so deuten: Die letzten zwei Jahre ist ein Umbruch vollkommen unübersehbar geworden, in dem sich die zwingende Notwendigkeit neuer Erzählungen, neuer Konzepte abgezeichnet hat. Wer sich davon überfordert fühlt, wird eventuell auf alte Modi zurückgreifen. Das beziehe ich auf eine regionale Situation, die offenbar Entsprechungen in größeren Zusammenhängen hat.

Was ich die letzten Jahre im hiesigen Kulturbetrieb an Erosion und Niedertracht erleben durfte, ist Ausdruck dieses Umbruchs und vor allem der vorläufigen Ratlosigkeit, was nächste Narrative betrifft. Kurz zurück zum Eintrag vom 23.3.2019: Das imperiale Österreich hat sich 1918 selbst versenkt.

Mein Großvater Richard war Soldat des Kaisers, stand also im Dienst eines imperialen Konzeptes. Mein Vater Hubert war Soldat eines Tyrannen, stand im Dienst des Faschismus, der gegenüber dem Sozialismus nach 1946 auf der Strecke blieb, aber dennoch nicht aus menschlicher Gemeinschaft verschwinden will.

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Ich war schließlich Soldat der Republik, also im Dienst der liberalen Erzählung, welche die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als Verfassung hat. (Siehe Foto: als Richtkanonier an einem Raketenwerfer.) Wie die Aufklärung einige massive Webfehler zeigt, uns daher als Legitimation wofür auch immer nicht genügen kann, so illustriert der Gang der Welt nach 1948, daß diese Charta nicht allen Menschen gilt.

Damit will ich wiederholt sagen: Auch wenn wir diese Rechte für universell halten, stehen wir Gesellschaften gegenüber, die ganz andere Richtlinien bevorzugen. (Und das sind Gesellschaften, die sich von uns nicht dominieren lassen, wie Europa das Jahrhunderte gemacht hat.)

Ich halte derzeit für geklärt, daß die großen Erzählungen des 20. Jahrhunderts sich erschöpft haben und menschliche Gemeinschaft nächster Konzepte bedarf. Vermutlich ist die Arbeit an Utopien, wie das Künstler Selman Trtovac betont hat, ein sehr relevanter Beitrag dazu.

Ich hab in den letzten Jahren bei Teilprojekten von "The Long Distance Howl" schon mehrfach betont, daß wir die Koexistenz von Menschen und Maschinen neu deuten und ordnen müssen. Das hatten wir zuletzt im 2017er Kunstsymposion bearbeitet, bei dem ein Werk von Künstler Niki Passath den Titel ergab: "Artist Is Obsolete" [link]

Dazu hatte es 2016 "Koexistenz in Konvergenz" geheißen: [link] Was die Maschinen angeht, boomen derzeit selbstlernende Systeme. Wenn Maschinen von Maschinen lernen, entwickelt sich etwas anderes, als wenn sie bloß von Menschen programmiert werden. Wo gerade viel von Künstlicher Intelligenz die Rede ist, wäre diese von Synthetischem Bewußtsein zu unterscheiden, damit unsere Orientierung klappt.

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Unter Künstlicher Intelligenz verstehe ich Systeme, die Probleme lösen. Das reicht von der Rechtschreibprüfung, wie sie in Texteditoren eingebaut ist, bis zu Diagnosesystemen, die manches besser können, als die Ärzteschaft es kann. Dagegen meint Synthetisches Bewußtsein, daß eine Maschine Selbstwahrnehmung erlangt und sich folglich ihrer selbst bewußt wird. Das kenne ich bisher nur aus Science Fiction-Geschichte und mir sind keine Hinweise bekannt, daß so was am Horizont stünde.

Wo nun Maschinensysteme auf neue Arten in unseren Alltag vordringen und unsere Arbeitswelt radikal verändern, scheint es mir naheliegend, daß wir unsere menschliche Zukunft mehr den je in Kooperation, denn in Konkurrenz sehen. Ich nehme an, die veränderte Koexistenz des Menschen mit Maschinen erzwingt neue Modelle der menschlichen Koexistenz. Konkurrenzverhalten ist ganz offenkundig ein konstituierender Bestandteil der alten Narrative: Imperialismus, Faschismus, Kommunismus und Liberalismus. Was wäre demnach der Next Code?

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