2. April 2019

Diese kleinen Erörterungen in einer frühen Phase des Teilprojektes "Tesserakt" sind ein Stück Orientierungsarbeit für den letzten Abschnitt des Langzeitprojektes "The Long Distance Howl". Ich hab den Prozeß in manchen Momenten als eine Art Selbstversuch erlebt, weil ich hier in ein Kräftespiel geraten bin, zu dem ich in keinerlei Distanz stehe und das sich nicht dirigieren läßt.

log2617a.jpg (10949 Byte)

Ich komme von der Literatur, sehe mich vor allem einmal als Lyriker und finde an Optionen der Konzeptkunst Gefallen. Darin die Poesie als das Erschaffen der Welt, wie es übrigens alle Menschen individuell leisten; mindestens als Poiesis, sofern es sich ohne die Intention zur Kunstpraxis ereignet. Im Sinn dessen, was uns die Kognitionswissenschaften sagen, sind wir poietische Wesen, erzeugen in uns eine Vorstellung von der Welt, weil uns die Welt selbst eigentlich nicht unmittelbar zugänglich ist.

Das korrespondiert auch mit der Auffassung von Daniel Denett, daß unser Ich eine Benutzersimulation sei, die uns vom Neuronennetzwerk angeboten wird. Eine Netzwerkabstraktion, die in uns wirkt, damit wir ob der gegebenen Komplexität dieses Systems quasi funktionsfähig bleiben. Ich verstehe das allerdings nicht als Maschinen-Metapher. Die Maschinen, von denen wir bisher wissen, kommen an solche Komplexität nicht heran. Ob man nun "noch nicht" sagen sollte, halte ich für klärungsbedürftig. Was Maschinensysteme angeht, ist derzeit vor allem von zweierlei häufig die Rede:
+) Künstliche Intelligenz
+) Synthetisches Bewußtsein

Mir war bisher meist noch etwas unklar, wofür nun was von beidem steht. Derzeit denke ich, Künstliche Intelligenz ist ein Maschinenpotential zum Lösen von Problemen. Da gibt es vieles, worin Maschinen den Menschen übertreffen. Das ist ganz banal. Jeder Taschenrechner läßt uns in seinem Funktionsbereich alt aussehen. Aber er hat keine Selbstwahrnehmung.

Das würde ich für Synthetisches Bewußtsein halten, wenn eine Maschine ein Ego entwickeln könnte, sich selbst wahrnehmen und sich dabei von anderen Maschinen oder Lebewesen unterscheiden könnte. Derzeit weist nichts darauf hin, daß Maschinen so was noch zu meinen Lebzeiten gelingen könnte.

log2617b.jpg (19087 Byte)

Auf alle Fälle sind wir Menschen herausgefordert, unsere Koexistenz mit Maschinen neu zu klären, neu zu ordnen. Das handelt zugleich von der interessanten Aufgabe, die Conditio humana aktuell zu überdenken. Was macht uns aus? Was sind wir? Was wären wir gerne?

Daß uns die Kunst dabei sehr nützlich sein kann, liegt an der einfachen Tatsache: Kunst hat keine andere Aufgabe, als den eigenen Zwecken zu dienen. Es ist daher nicht die Kunst, von der wir dann Mitteilungen bekommen, sondern es ist unsere Kunstpraxis, in der wir uns als Menschen erfahren. Nicht die Kunst belehrt uns, sondern das eigene Tun, zu dem die Kunst Anlässe gibt. Darin entscheidet sich auch stets neu, ob wir an der Conditio humana oder an der Conditio inhumana arbeiten wollen.

Um nun ein paar Punkte zusammenzufassen: Im Eintrag vom 28.3.2019 also der Bezug zur Auffassung von Markus Lüpertz
+) die Kunst beschäftige sich hauptsächlich mit sich selbst,
+) sie sei immer Renaissance,
+) stelle sich den Jahrhunderten,
+) ringe dabei mit sich und
+) den Fragen nach Qualität, nach Vollendung.

Jenseits davon und mit Augenmerk auf den Kulturbetrieb die Annahme, Aufmerksamkeit gehöre zu den bedeutendsten Währungen in menschlicher Gemeinschaft und soziales Handeln sei eine der wichtigsten Sinnressourcen, die wir kennen. Unser Tun wird eben nicht bloß in Cash abgegolten. Aufmerksamkeit, Sichtbarkeit, Sozialprestige... Das berührt eigentlich die Thesen von Pierre Bourdieu zu diversen Kapitalsorten.

Bourdieu meint hier mit Kapital die Ergebnisse menschlicher Anstrengungen. Diese führen eben nicht bloß zu ökonomischem Kapital, sondern ergeben auch soziales Kapital, symbolisches Kapital und kulturelles Kapital. Bourdieu war der Ansicht, man könne solche Kapitalarten akkumulieren und wir könnten sie unter uns austauschen; als etwas, das einzelnen Personen Macht und Möglichkeiten bietet.

Das allein läßt einen schon ahnen, wie sehr zur Alltagsbewältigung nicht bloß "praktische Dinge" gehören. Sobald wir uns fragen, was es braucht, damit ein Leben gelingen kann, kommen unweigerlich auch all diese anderen Aspekte ins Spiel. Dabei hat die Kunst einige Optionen.

log2617c.jpg (13711 Byte)

Am 1.4.2019 hab ich notiert, daß Wahrnehmung und Realitätsauffassung uns keinerlei "Realität" anbieten können. Wir bleiben auf Konsensrealität angewiesen. Auf Übereinkünfte. Die haben eine grundlegende Bedingung: Kommunikation. Auch darin hat die Kunst ihre Momente, weit mehr im Sinn von Grundlagenarbeit, denn im Sinn von angewandten Formen. Sinnstiftung, Fluchtpunkt, Praxis des Kontrastes, das Ausloten der Conditio humana...

Ich mag zu solchen Themen die unterkühlte Ansicht von Niklas Luhmann, der in seiner großen Gesellschaftstheorie auch der Kunst ihren Platz sicherte, ihr ein ganzes Buch widmete ("Die Kunst der Gesellschaft"). Aber nicht etwa, weil er selbst von Kunst besonders begeistert wäre. Luhmann: "Und daß überhaupt von Kunst die Rede ist, liegt nicht an besonderen Neigungen des Verfassers für diesen Gegenstand, sondern an der Annahme, daß eine auf Universalität abzielende Gesellschaftstheorie nicht ignorieren kann, daß es Kunst gibt." (Siehe dazu den Eintrag vom 7. Dezember 2013!)

Ich habe dem aktuellen Abschnitt "Tesserakt" den Untertitel "Auf der Suche nach Transparenz" gegeben. Das ist die Konsequenz aus der Unmöglichkeit, von den alten Narrativen so etwas wie "Next Codes" herzuleiten. Im Eintrag vom 27. März 2019 ist notiert, wie das zum Teilprojekt "Axiom" geführt hat, also zum Wunsch nach Annahmen, die keiner Herleitung bedürfen. Genau dazu ist eben Transparenz der aktuellen Situation unverzichtbar. Und das verlangt noch nach einiger Arbeit.

Wo es in die Praxis des aktuellen Abschnittes geht, lege ich unter anderem eine eigene Linie im Austria-Forum. Dabei versuche ich erneut eine besondere Betonung des Raumes abseits des Landeszentrums, der Vorstellung gewidmet, daß Provinz nicht unbedingt provinziell sein müsse. Dazu bisher zwei Notizen in der Sache:
+) Notiz 010: Abseits der Zentren
+) Notiz 011: Im Raum bestehen

-- [Tesserakt] --

[kontakt] [reset] [krusche]