25. September 2020

Umbrüche und Widerstände

Wir leben seit rund 200 Jahren in einer permanenten technischen Revolution. Was inzwischen bewährte Lösungen sind, kommt uns meist so vertraut vor, daß uns kaum auffällt, wie jung vieles davon ist. Was Neues auf uns zukommt weckt teils heftige Widerstände.

Das läßt sich an kaum einem Thema so gut abbilden, wie an unserer Mobilitätsgeschichte und der Entwicklung von Kraftfahrzeugen. Das meint vor allem „pferdelose Wagen“ und ihre schlankeren Varianten, die Motorräder und Mopeds.



Deckel einer Zigarrenkiste von cirka 1890

Wie geht Zukunftsfähigkeit? Womit steht man neuen Lösungen im Weg? Wie sollen wir uns dem annähern, was heute noch nicht gedacht werden kann? Welches sind denn derzeit die kulturellen Fragen, wo uns ökologische, technische und soziale Fragen so dicht vor Augen stehen?

Aber auch: wie können wir uns gewichtigen Fragen und Aufgaben widmen, während derzeit ein Boom der moralischen Markierungen herrscht? Damit meine ich die dröhnende Selbstdarstellung über moralische Kategorien, für die oft so viel Energie draufgeht, daß für dahinter liegende Sachfragen vielfach die Kraft nicht mehr reicht. (Maximalvariante: Selbstdarstellung durch Feindmarkierung.)

Ich hab in einer meiner Themenleisten eben notiert: „Großmutter Marianne wurde am 3. September 1899 als Tochter von Matthias und Resi Renner geboren“. Das war eine Ära, zu der „Frauen in Hosen“ ein heikles Thema wurden.

Man sah damals in den Städten im öfter Frauen in „Bloomers“ und ähnlichen Kleidungsstücken. Bis zum Ersten Weltkrieg mußten öffentlich auftretende Frauen in Hosen mit Beschimpfungen, sogar mit körperlichen Attacken rechnen. Veränderungen gegen Widerstände! Und heute?

Haben Sie je den 1930 erschienenen Film Marokko“ gesehen? (Kann ich sehr empfehlen!) Der exzentrische Josef von Sternberg führte Regie. In Hauptrollen Marlene Dietrich, Gary Cooper und Adolphe Menjou, nach dem eine Barttracht benannt wurde.



Brennabor Modell 0 von 1893: ein Kreuzrahmen-Rad, die Vorstufe zum modernen Fahrrad mit Diamantrahmen.

Die Dietrich in Hosen. Das galt als skandalös, wie auch ihr gesamtes Benehmen. Daraus ergab sich ein eigenes Mode-Genre. Die Marlene-Hosen. Aus der Elle erfährt man: „Die von Marlene Dietrich geliebte Hose galt als Zeichen der Emanzipation – nun ist das symbolträchtige Kleidungsstück wieder zurück.“ Und: „Anders als vielleicht angenommen, kann jeder Figurtyp diese Hosenart tragen, da sie aufgrund ihres weiten Schnitts ohne weiteres kleine Problemzonen kaschiert.“ [Quelle]

Also ein paar Jahrzehnte davor: die Frauen in den Bloomers. Sie fuhren gerne eines der damals neuen „Niederräder“. Das sogenannte „Safety“ hatte sich gegenüber dem Hochrad („Highwheeler“, „Penny Farthing“) durchgesetzt. Die Sturzgefahr war somit verringert, die Zahl der teils schweren Verletzungen verunglückter „Velozipedisten“ nahm ab. [Querverweis]

Davor hatte es einen konstruktiven Zwischenschritt gegeben: „Bei der Pariser Weltausstellung von 1867 gilt die Präsentation des Tretkurbelrades von Michaux als gesichert.“ Auch: „Von Altmeister Johann Puch heißt es, er sei bei seinem Militärdienst in Graz mit der Wartung von Hochrädern der Offiziere befaßt gewesen. Das habe ihn gegen diesen Fahrzeugtyp eingenommen. Zu teuer und zu gefährlich.“ [Querverweis]

Inzwischen waren taugliche Benzinmotoren verfügbar, die sich bald gegenüber Dampfmaschinen und Elektromotoren als Kraftquelle für pferdelose Wagen durchsetzten. Kompakte Aggregate bewährten ich überdies zügig in der Luftfahrt. Da sind wir nun schon bei den Renner-Buben, den Cousins meiner Großmutter Marianne.


Wir sind bei diesem Puchmotor in deren Luftschiff. Wir sind bei Altmeister Johann Puch, der in jenen Tagen ein Flugzeug bestellt hat, wie es Louis Bleriot konstruiert und erprobt hatte. Aber jetzt erst einmal die Session (KUNST:FLUG: 111), zu der Künstler Igor F. Petkowitsch für morgen eingeladen hat…

Siehe zur Fahrradgeschichte auch:
+) „Rasende Reisende“ (Ein schneller Fuß im Fluß der Dinge)

-- [Wir Ikarier] --

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