29. Juni 2025

Button-Kultur II


[Vorlauf] Eine forcierte Zeichensetzerei macht skeptisch. Ich bin in etlichen Dingen eher konservativ gestimmt. Eine Pose ohne erkennbares Fundament halte ich für provokant. Wenn ich den Eindruck bekomme, daß Pose a) Inhalte und b) praktische Handlung ersetzen soll, werde ich störrisch. Derzeit boomt Behauptungspornographie.

Ich habe in der vorigen Notiz diese Auffälligkeit erwähnt, daß in den Social Media anscheinend viele Leute zu Figuren wurden, die von Weltekel und Menschenverachtung überquellen. Also strampeln sie sich ab, vor allem das zu verbreiten, was andere Leute Einschlägiges erdacht, formuliert, gezeichnet haben. Motto: "Flood the zone with shit!" (© Steve Bannon)



Aufnäher sind im Alltag etwas seltener geworden.

Es macht einen Unterschied, ob ich ab und zu jemanden zitiere, um meine eigenen Mitteilungen zu unterstreichen, oder ob meine Mitteilungen hauptsächlich aus Zitaten bestehen. Lakaien und Wasserträger. Dienstboten und Mitläufer. Was soll so eine Stimme wert sein?

Übrigens keineswegs rundheraus doofe Menschen. Im Gegenteil! Ich erlebe so manchen Behauptungspornographen, der etwa in der Geschäftswelt recht erfolgreich ist, aber man kann diesem Genie in der jeweiligen Timeline keinen einzigen originellen Satz nachweisen. Ich sehe so manche engagierte Bürgerrechtlerin, deren Mitteilungen bestehen fast ausschließlich aus Slogans und Repostings der Beiträge anderer.

Diese Art der Verschnöselung eines geistigen Lebens empfinde sehe ich als eine plausible Konsequenz der verdichteten Selfie-Schießerei. Manche Social Media-Präsenzen von fraglos intelligenzbegabten Menschen bestehen hauptsächlich aus Fotos, auf denen man die Person sieht, wie sie ihr Spiegelbild mit einem Blick auf das Mobile-Display überprüft.



Einstmals amtliches Badge, heute Accessoire.

Das halte ich für eine Art ultraflache Seitenblicke-Schnöselei, die sich eben ganz gut durch eine Button-Kultur ergänzen läßt. Falls Sie alt genug sind, werden Sie sich an jene einst bunten Flut dessen erinnern, was „Meinungsknöpfe“ genannt wurde. Ansteckbare Plaketten mit sehr unterschiedlichen Botschaften. Buttons. Oder Patches, diverse Aufnäher. Auch Pins, Anstecknadeln.

Ich hätte gegen Seitenblicke-Schnöselei, ergänzt durch eine Button-Kultur, gar nichts einzuwenden, wenn so eine Pose sich als private Attitüde genügen würde. Kann man machen. Muß jedem Menschen freistehen. Wer mir aber mit so einer Flachwurzel-Nummer via Massenmedium in den öffentlichen politischen Diskurs hereinkommt, wird eventuell an mir entlangschrammen.



Pins finden sich zu allen Genres und sozialen Konzepten.

Ich nehme als Beispiel eine Plaudertasche aus meiner Community, unternehmerisch erfolgreich, der jüngst ein fremdes Posting von 108 Wörtern Länge repostet hat, was er mit folgendem Kommentar versah: „Gilt für alle Kriege!“ Das war alles? Alles! Warum hält er nicht gleich die Fresse? Vermutlich weil er bemerkt werden möchte.

Das ist eine Verhöhnung dessen, was in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 einen eigenen Absatz hat, den Artikel 19, der da lautet: „Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“ [Fortsetzung folgt!]

+) Politik (Eine Debatte)


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