20. September 2025

Raumgestaltung IV


[Vorlauf] Meine Hütte ist eine papierene Erinnerungsmaschine. Nein, keine Gartenhütte. Ich mag bloß diese Metapher für meine Innenstadtwohnung, die sich auf zwei Etagen verteilt, durch eine Treppe verbunden. Unter dieser Treppe fand ich eben Dinge gelagert, die ich gewiß zwanzig Jahre nicht mehr gesehen hatte.

Das überschreitet enorm, was als Faustregel für ein aufgeräumtes Leben gilt. Aber ich hab dieser Tage weiter vertiefen können, was mir zum Auftakt klar war, als ich mit dem Räumen begann. Meine Hütte ist kein Museum, sondern ein Archiv zur laufenden Arbeit. Ich halte mir Informationen griffbereit, aber die Datenträger müssen nicht ewig halten.



Entropie im Umbruch ;-)

Mit Datenträgern meine ich vor allem Bücher, Zeitschriften, Dissertationen, ausgedruckte Fachartikel etc. In all dem befinden sich Unterstreichungen, Markierungen, Notizen. Dieses stete Ringen um Informations-Fundamente, auf die sich meine Mitteilungen stützen, hat eben unzählige papierene Elemente. Dem gegenüber in meinem Büro eine Dose mit Speicherplatten, die jeweils zwei Terabyte fassen.

Das ergäbe in elektronischer Fassung weit mehr als das Doppelte dessen, was in meiner Hütte an Papier herumsteht. Ich bin demnach immer noch ein Mann der Gutenberg-Galaxis und halte gedruckte Werke für unverzichtbar.

Ich weiß den Nutzen der digitalen Welt zu schätzen und kombiniere diese Systeme. Aber im Zentrum bleibt der Wissenserwerb über Leseakte, die auf Papier gestützt sind. Das schafft ferner jene Diskursgrundlagen, die ich andernorts vermissen.



Drucksorten in Bodenhaltung: ein Übergang.

Ich hab in einer kleinen Kontroverse zwei metaphorische Ländereien benannt: Wundrakien und Kruschestan. (Siehe dazu am Seitenende: „Mars: Eine Debatte“.) In Wundrakien bin ich an ein paar Leuten entlanggeschrammt, die laufend Meinungen raushauen, diese aber nicht begründen.

Das heißt, sie unterstellen, es sei schon geklärt und außer Streit gestellt, was sie a) behaupten und b) via Massenmedium verbreiten. In Kruschestan gilt das Prinzip: Begründen statt verkünden! Man nennt seine Quellen, man begründet seine Kritik. Kritik leitet sich ursprünglich nicht umsonst vom griechischen „krínein“ ab. Das meint: vergleichen und unterscheiden.

Daher kann Kritik, wenn man sie ernst nimmt, nicht darin aufgehen, bloß die eine Sache zu benennen, sondern sie zu einer anderen in Beziehung zu stellen. Das verlangt nach Referenz. Also Wissen. Was die Verkünderei angeht, sehe ich in hohem Maß so eine schlampige Pausennummer: Selbstdefinition durch Feinmarkierung.

Als Buchhandelslehrling war mir einst klargemacht worden: Was nicht
richtig eingeordnet ist, ist nicht da, weil man es nicht findet.

Da sehe ich oft durch eine Art der Fiasko-Voyeure. Sie weisen vergnügt darauf hin, was sie alles für inferior halten, um sich und anderen mitzuteilen: „So bin ich nicht!“ Aber was sind sie dann? Fiasko-Voyeure und ein Fußvolk des Alarmismus. Virtuosen der Moraltrompeterei, welche eine Debatte oft keine drei Minuten durchstehen.

Seit der Antike wissen wir, daß der Zweifel etwas Nützliches ist und Dissens uns anregen kann, die eigenen Ansichten zu präzisieren. Aber das verlangt eben… Kenntnis dessen, wovon man redet. Soweit es mich angeht, ich brauche dazu eine Bibliothek. Ein Archiv. Und den Willen, in diesem Gutenberg’schen Quadranten manchmal radikal aufzuräumen.

+) Netzkultur (Teleworking und Telepräsenz)
+) Mars (Eine Debatte)


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Gewissermaßen Restpapier: