log #258: fahrtenbuch, seite #6

Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen, mich fasziniert dieser Aspekt einer "Spange" quer durch die Region. Das ist kulturell älter als jenes Abstecken von Territorien. Die Gründe dafür sind vielfältig, rund um ein sehr interessantes Motiv gruppiert..

Die Kartographie ist noch nicht sehr lange in der Lage, präzise Karten zu liefern. Die Landvermesserei hat zwar starke Wurzeln in der Antike. Aber erst im 17. und 18. Jahrhundert wurden jene Kompetenzsprünge vollzogen, etwa das Triangulieren und andere Details entwickelt, um

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dann im 19. Jahrhundert jene Landkarten zu liefern, die über neue Drucktechniken auch entsprechend breiter reproduzierbar waren. Warum ich das hier erzähle? Weil unsere Kulturgeschichte über so lange Zeit davon geprägt ist, daß es belebte Punkte, Orte gibt, zwischen denen Kommunikationslinien und Transportwege verbinden wirken.

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Nun sind zwar die belebten Orte wichtig, aber ohne diese verbindenden Linien, dieses "in between", ein lebhaftes "Dazwischen" (wie hier, im südlichen Teil von Gleisdorf), nicht denkbar. Und genau DAS macht nun auch einen wesentlichen Aspekt "des Regionalen" aus.

Gleisdorf hat darin eine exponierte Position allein schon durch seine Lage. Eben WEIL durch diese Stadt zum Beispiel wesentliche Verkehrslinien in die gesamte Oststeiermark führen, welche über Bahn- und Straßenverkehr Verbindungen schaffen, ist Gleisdorf ein interessantes "in between", zur Landeshauptstadt hin. Gleichzeitig ist Gleisdorf das Gravitationsfeld einer aktiven "Kleinregion", reproduziert also in diesem Gefüge eine eigene "Regionalsituation".

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Muß man all das wissen? Nicht unbedingt. Aber es nützt, falls kulturelle Vorhaben sich auf die ganze Region beziehen sollen. Kleiner Einschub: Diese Briefmarke war nicht im freien Verkauf erhältlich. Man mußte an einem bestimmten Tag im Jahr ("Philatelietag") ANDERE Waren zu einem bestimmten Mindestbetrag kaufen, um dieses Stück als Draufgabe zu bekommen.

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Ich habe diese Gelegenheit im vergangenen Sommer genützt, bei den Herren Peter Mayer (links) und Josef Smode, die im Auftrag der Post und im Dienste der Sammlergemeinde durch die Lande reisen, einige interessante Stücke erworben.

Ich denke, man kann heute gar nicht überschätzen, was das Postwesen im eingangs erwähnten Sinne bedeutet hat: Das "in between" bespielen, Vekehrswege und Informationslinien ZWISCHEN den belebten Orten nützen, ja teilweise überhaupt erst herstellen.

Ich hab in den vorigen beiden Einträgen [Eintrag #4] [Eintrag #5] einige der wirtschaftlichen Zusammenhänge dieser regionalen "Spange" skizziert. Sie ist natürlich AUCH eine KULTURELLE Spange. Es hat darüber hinaus noch ganz andere Seiten, die ich mit einem kleinen Beispiel andeuten möchte. Ich ziehe kleinere Geschäfte den großen Märkten vor, da fühle ich mich einfach wohler.

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So mache ich etwa auf dem Rückweg von Weiz nach Gleisdorf gerne in St. Ruprecht Station, falls ich noch Einkäufe tätigen muß. Das kommt im Monat meist zwei bis vier mal vor. (Der Abstecher führt in einen Ort, auf dessen schmaler Hauptstraße man sein Auto sehr achtsam bewegen muß.)

Kürzlich stand ich dort an der Kasse, um festzustellen, daß ich ohne Geld aus dem Haus gegangen war. Also wollte ich die Waren zurückgeben, weil ich nicht bezahlen konnte. Die Dame meinte: "Aber ich kenne Sie doch, sie kommen ja öfter vorbei. Zahlen Sie es beim nächsten Mal." Das könne einige Wochen dauern, wandte ich verblüfft ein. "Das riskiere ich", sagte sie lachend.

Transportwege, Kommunikationslinien. Augenmaß. Wie weit reicht menschliche Wahrnehmung? Das berührt nicht bloß Fragen der Topographie oder des Sozialen. Eine Besonderheit der menschlichen Spezies ist der Zeitbegriff, in dem die Fähigkeit zur Abstraktion steckt: "Es hätte auch anders kommen können". Das haben wir nicht von Geburt an. Es braucht bei Kindern im Schnitt rund ein Jahrzehnt, um diese Fähigkeit zu entwickeln.

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Aufgrund dieser Fähigkeiten haben wir auch "Geschichte", also eine Vorstellung, daß wir uns ständig zwischen unserer Vergangenheit und unserer Zukunft bewegen. Das stand im Gleisdorfer Jugendzentrum kürzlich zur Debatte, als ich in einer Gesprächsrunde neben Bürgermeister Christoph Stark und Landtagsabgeordneter Ingrid Lechner-Sonnek saß.

Der Anlaß dazu war ein Projekt des Künstlers Jochen Gerz, hier links neben dem Kunsthistoriker Werner Fenz. Siehe dazu: Alexandra Weitzer "Pflicht des Betrachters" ("63 Jahre danach": Erinnerungszeichen wurde in Gleisdorf präsentiert.) [link]

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[kunst ost: fahrtenbuch]


coreresethome
12•10