16. Juni 2025

Amok: Propheten und Prediger


[Vorlauf] Ich staune, wie viel Voyeurismus, Klugscheißerei und schlechte Prosa der Amoklauf von Graz auslösen konnte. Dazu überdies meine Frage: Weshalb sollte eigentlich das Faktum eines Massenmordes noch Adjektive brauchen? Ich meine Zusätzlein wie schrecklich, unfaßbar, unbeschreiblich, entsetzlich etc.

Ich bin unter die Propheten und Prediger gelangt. Da tönt es etwa so ein herablassend: „Man sollte aufhören von Amoklauf zu sprechen, wenn komplett das Gegenteil der Fall ist.“ Wer „man“? Was dann?



Und erneut: Feuerkraft macht einen Unterschied!

Oder ich lese: „Aber wo wart ihr, bevor es passiert ist?“ Na, geh! Ihr? Also wir? Ich auch? Wo genau sollte man denn vorher gewesen sein, um was genau zu tun? Immerhin ist Österreich ja kein Überwachsungsstaat, in dem alle Menschen täglich gescannt werden könnten.

Wenn ein Mensch in die Stille verschwindet, in eine andere Realität wechselt, in eine Privatmythologie eintaucht, um von dort bewaffnet und mit einem Plan zurückzukommen, wo und wie hätte jemand diesen Menschen davor abholen können? Auf welches Recht gestützt?

Selbst wenn ein belasteter Mensch auf solchem Weg zufällig grade in einer psychologischen Begleitung wäre, könnte man die Person doch nicht einfach rausziehen; außer sie zeigt nachweisbar das Potential, sich selbst und/oder andere zu gefährden. (Wer nun Bürger- und Patientenrechte prophylaktisch abschaffen möchte, bitte aufzeigen!)

Wenn dann jemand meint, „Dieser Horror ist nicht in Worte zu fassen“ (Zitat „tagesschau“), wäre zu empfehlen: Dann schweigen Sie doch, wenn Sie Ihr Handwerk nicht verstehen. Ich meine, man kann das sehr genau in Worte fassen; wenn man sich eben nicht auf Befindlichkeitsprosa beschränkt, sondern auf diese Verletzlichkeit eingeht, die uns alle ausmacht. Und wenn man sprachgewandt ist. (Solche Leute gibt es angeblich.)



Sie wollen hinter jede Mattscheibe blicken können? Lustig!

So unverhofft kann einem das Leben als genommen werden. Das wußten Sie noch nicht? Und all die Gewalt im Land. Da zählt jede Alltagssituation, um erkennbar gegen dieses ganze Spektrum zu stehn: von der Gewalt durch Sprache über strukturelle Gewalt, bis zum Hieb oder Schuß.

Aber vielleicht unterschätze ich Gewicht und Bedeutung von Floskeln. Vielleicht ist es so, daß Worthülsen und daß beliebig befüllbare Containersätze dem Gemeinwesen nützen, damit bei Bedarf auch wirklich jeder Mensch andocken kann. Bewährt sich sowas, um Traumata zu mildern? Ich bin befangen. Mir mißfällt all die Floskelei grundlegend.



(Quelle: Kontrast.at [KOMPLETTES BLATT])

Für den Täter interessiere ich mich übrigens gar nicht, für die Tat nur in einigen Aspekten. Mich haben vor allem jene Stimmen erreicht, die uns wissen ließen, daß man sich durch so ein Verbrechen nicht zu Haß hinreißen lassen soll. Keine nutzlose Schuldzuweisung, kein Wort von Rache und Verdammnis, aber Beteuerungen, was nun geschehen soll. Wie sehr ich das schätze: Vom „Du sollst!“ zum „Ich werde!“ Dort liegt Wirkmächtigkeit, die aus Eigenverantwortung kommt. Das ist die Botschaft, der ich mich anschließen mag.

Was Betroffenheit angeht, die halte ich für etwas sehr Intimes. Ich bleibe skeptisch, ob es in dieser Kultur angebracht ist, das auf aktuelle Art via Social Media nach außen zu tragen. Ich verfolge allerdings, was von den direkt betroffenen Menschen berichtet wird. Das bewegt mich sehr…[Fortsetzung]

+) Politik (Eine Debatte)


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