13. Juli 2018

Im gestrigen Eintrag zu unserer Pop-Konferenz ging es kurz um Haltung und um erinnerliche Formen, sie nach außen zu demonstrieren. Ich hab Mods und Greasers erwähnt. Jugendkulturelle Formationen, die sich über verschiedene Codes in der Öffentlichkeit darstellten. In abgewandelter Form tauchten diese Stile bei uns dann auch als Popper und Rocker auf. Dazwischen hatten wir über Discodillos die Nase gerümpft.

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Auf dem Weg zum Emo (Ein Kürzel für Emotional)

Der Dillo kursierte auch als eigenständiges Schimpfwort. In Verbindung mit der Disco-Ära ergab das eine bewährte Kombination. Die weibliche Variante reüssierte als Disco-Torte. Ein sehr populäres Schema: Selbstdefinition durch Feindmarkierung. Daß Punk mit seiner Inszenierung da wie ein Beil dazwischenfuhr, ließ mich völlig unberührt. Daß Rock & Roll oder Blues auch ein Lebensgefühl seien, schien ja klar zu sein. Deshalb mußte es sich später nicht unbedingt als Lebensstil manifestieren, der sich gleich allen mitteilt, als wäre man der Fan einer Fußballmannschaft.

Für mein bevorzugtes Genre hatte Ian Anderson schon 1976 einen ironischen Abgesang ausgegeben. "He once owned a Harley Davidson / And a Triumph Bonneville / Counted his friends in burned out spark plugs / And prays that he always will", hieß es in "Too Old to Rock ’n’ Roll, Too Young to Die!" von Jethro Tull. Da war die Motorrad-Saison meines Lebens gerade erst richtig angelaufen.

Der Wunsch, in Würde zu altern, kennt allerhand Schwurformeln. "And prays that he always will" ist die Schlüsselstelle im Tull-Song. Diese Art der Beteuerungen halte ich freilich für verräterisch. Sie projizieren die erklärte Haltung in eine ungewisse Zukunft, wo sie einem leicht zur Pose verkommen kann.

Meine Erfahrung besagt, daß Selbstinszenierung und Dekor bei den meisten Leuten über die Jahrzehnte an Bedeutung verlieren. Es erscheint nicht mehr gar so wichtig, daß einem alle Welt ansehen kann, was man zu leben bevorzugt. Genau das wird von einigen dann mitunter als "Verrat" betrachtet.

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Hells Angels: Ursprünglich Kriegesheimkehrer, die sich im
zivilen Leben nicht mehr zurechtfanden

Ich sah später unter unseren Kindern die Emos daherkommen, während bei den Jungen die Punks und Mods ein Revival hatten, während unter den Älteren Rockabilly boomte und Rockabellas wieder Petticoats trugen. Bei manchen ein temporäres Phänomen, bei manchen bleibende Codifizierung.

Fragen nach "Verrat" halte ich dabei für unerheblich, denn dieses "Du hast dich ja gar nicht verändert" ist eher kein Kompliment. Ich hab schließlich auch Punks zu sehen bekommen, die später im Bankengeschäft Geschäfte machten oder sich als Rechtsradikale mauserten. Die Inszenierung ist also nicht unbedingt sehr aussagekräftig.

Ich hab grade erst entdeckt, daß ich schon vor rund zwei Jahren mit Sir Oliver Mally in die Pop-Thematik gegangen war und dabei mit einem Verweis auf das Album "Hard Again" von Muddy Waters eröffnet hatte. Im Eintrag vom 17. März 2016 hieß es da "Blues had a Baby. They named it Rock and Roll" wie gestern hier im Doppel-Feature: [link]

In jener Notiz kommt eine Passage vor, die mir jetzt auch nützlich erscheint: "Wir sind beide Kinder einer Populärkultur, die uns angeboten hat, entweder an den Haken der Unterhalungsindustrie zu gehen, oder jene Gebiete zu untersuchen, wo sie Mauern eingerissen hat, Zugänge geschaffen, über die eine außergewöhnliche Selbstermächtigung möglich war."

Gestern habe ich den Eintrag so beendet: "Mir scheint einmal mehr wichtig, nun zu fragen: Was ist eine gute Frage?" In der Notiz von 2016 schloß ich mit "Ein Leben im Simulakrum? Warum? Wozu?" Ich hab überdies heuer im Mai einen der Aspekte aufgegriffen, denen unser Kulturbetrieb über Jahrhunderte gewidmet war, wenn nicht über Jahrtausende. Die Popkultur hat natürlich auch das Zeug, diesem Zweck zu dienen, die Unterhaltungsindustrie leistet das auf jeden Fall:

Einen homogenen Untertanenverband herzustellen. Siehe: [link]

Dort auch der Hinweis auf das Themen-Trio Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst, die Befassung mit Dekoration, Kitsch und Propaganda, die Frage nach Code und Kontext. Kurz davor hatte ich den Kulturbetrieb als Distinktions-Maschine thematisiert.

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Rockabella: Revival des Stils einer Ära, in der Frauen nichts zu melden hatten

Volsktümlich ausgedrückt: Der Unerschied macht den Unterchied. Jethro Tull hatte ja im oben erwähnten Song skizziert, wovon sich der Greaser Boy abzusetzen versucht und wie er dabei mit einer unsichtbaren Altersschranke in Konflikt gerät: "But he's the last of the blue blood greasers boys / And all of his mates are doing time / Married with three kids up by the ring road / Sold their souls straight down the line." Seine Seele verkaufen, das ist ein popukläres Motiv in verschiedenen Genres.

Die Schangri-Las hatten schon 1964 klargestellt, wie der Ausweg aus diesem Dilemma gehalten sein kann. Der jugendliche Held ("They said he came from the wrong side of town") verliert in einer regnerischen Nacht auf seinem Motorrad das Leben. "The Leader oft the Pack" mußte die mögliche Divergenz zwischen Haltung und Lebensrealität nicht lösen.

Ich zähle selbst zu den Leuten, welche solcher Art der individuellen Mythenbildung via Motorrad- Crash per Zufall lebend entkamen: [link] Jung zu sterben enthebt einen natürlich dem Dilemma, das Ian Anderson mit der Zeile "Too Old to Rock ’n’ Roll, Too Young to Die!" unübertrefflich klar und knapp auf den Punkt gebracht hat.

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Im Überleben wird es eher nichts mit der Mythenbildung

Also stehen derlei Debatten an, in denen wir überprüfen, welche Positionen uns innerhalb dieser popkulturellen Lebensformen möglich wurden, da uns über die Jahrzehnte kein Bonus jugendlicher Torheit oder Bedenkenlosigkeit mehr übriggeblieben ist. Haltung? Damit kann ich derzeit nicht gar so viel anfangen und möchte den Begriff für fast so problematisch halten wie Gesinnung. Mich interessiert eher, was jemand denkt, sagt und tut, wie sich das zueinander verhält... als etwas Dynamisches.

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