7. April 2025

Das Gestrüpp hat mich wieder II


[Vorlauf] Dieses Wort ist für mich eine umfassende Metapher, die nicht bloß Gewachsenes meint: Gestrüpp. Das verweist für mich stets bloß auf eine andere Ordnung als meine. Entropie. Dazu bin ich ja auch selbst sehr gut in der Lage. Nämlich der Entropie Raum zu geben.

Den Begriff hab ich aus der Thermodynamik bezogen. Entropie ist eine Zustandsgröße in Systemen. Mit meinen Worten: Hab ich in einem System eine bestimmte Ordnung hergestellt, etwa in meiner Küche, in meiner ganzen Wohnung, verlangt diese Ordnung einen permanenten Zustrom an Energie, damit sie erhalten bleibt.

Ansonsten tendieren meine Küche, meine Wohnung, meine Bibliothek, mein Bankkonto, was auch immer, zu anderen Anordnungsmöglichkeiten. Also nicht jene von mir grade bevorzugte Anordnungsmöglichkeit. (Ich wette, dazu fallen Ihnen selbst genug eigene Praxisbeispiele ein.)


Mein Faible für das Durchstreifen des Gestrüpps, wie ich es gestern notiert hab, hängt genau damit zusammen. Ich übergebe mich kurz einer anderen Ordnung. Das schafft wohltuende Kontraste vieler Art. Und sei es allein, daß meine Wahrnehmung für Bereiche außerhalb von mir wieder munterer wird.

Das trifft nicht bloß auf Waldstücke zu. Ich kann mich gleichermaßen für verlassene Bauten begeistern, die massiv verkörpern, was mich daran interessiert. Die Zustandsveränderung, wenn menschliches Wollen Pause macht. Und mehr noch, wenn eine Hütte abgerissen wird. So wie es gerade mit einem stattlichen Gebäudekomplex am Rand des Gleisdorfer Stadtzentrums geschieht.

So oder so tun sich dabei spontane innere Prozesse auf, die von diesem Äußeren getriggert werden. Das zeigt dann auch visuelle Sensationen, birgt für Momente bemerkenswerte ästhetische Qualitäten, die sehr flüchtig sind. Solche Settings verschwinden bei einem Abriß-Ensemble sehr schnell wieder, weil ja der Platz gebraucht wird.

Man könnte sagen, es ist eine Schule der Geläufigkeit des Geistes. Außerdem werfen solche Betrachtungen Fragen auf. Die imposanten Gerätschaften für den Abriß lassen etwa daran denken: Natur und Technik, eine Dichotomie? Ich glaub es nicht. Was immer wir Menschen konstruieren und bauen, es bleibt an die Naturgesetze gebunden. Ich sag gerne: „Mit der Natur kannst du nicht verhandeln.“

All dieses Tun, soweit Menschen es kontrollieren, muß sich innerhalb der Newton’schen Physik entfalten, kann deren Grenzen nicht überschreiten. Im Jahr 2015 hatte ich für eines unserer Projekte Überlegungen zu „Die Ehre des Handwerks, das Gewicht der Kunst, der Geist in der Maschine“ angestellt. [Quelle] Ein Themenhorizont, der das Motiv „Renaissance 2.0“ berührt. Diese Begriff hab ich von Peter Weibel bezogen.


Weibels Auffassung von einer „Exo-Evolution“ schließt ja diese gedachte Lücke zwischen Natur und Technik. In meinem oben zitierten Logbuch-Eintrag vom 8. Dezember 2015 finden sich auch folgende Punkte notiert, die ich heuer wieder aufgreifen will:

+) Wie entsteht Neues?
+) Wie reflektiert man Wandel?
+) Wie sorgt man für die Zukunftsfähigkeit einer Region?
+) Wie steht es um unsere Fehlerkultur und eine Kultur des Nichtwissens?

Tags davor hatte ich Weibel im Logbuch so zitiert: „Der Künstler der Moderne hat sich vorwiegend nur selbst ausgedrückt, er war auf der Suche nach dem Ich oder der Eigenwelt der Darstellungsmittel. Der Künstler des 21. Jahrhunderts ist auf der Suche nach der Welt. Ihm geht es um Welterfassung und Welterschließung, nicht nur um Selbsterschließung.“ [link] [Fortsetzung]


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